Vor seiner Reise zur Einheitsfeier nach Mainz trat der noch amtierende Bundestagspräsident Norbert Lammert bei der europäisch-südamerikanischen Sicherheitskonferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rio de Janeiro auf. Es war Lammerts erster offizieller Auftritt nach der Bundestagswahl. Und anschließend nutzte der CDU-Politiker das Gespräch mit der WELT, um vor dem Verlust der parlamentarischen Kultur in Deutschland zu warnen.
Von Tobias Käufer, Rio de Janeiro, für die Tageszeitung „Die Welt“.
DIE WELT: Herr Lammert, in Kürze endet Ihre Zeit als Bundestagspräsident. Im neuen Parlament stehen nun mit sieben vertretenen Parteien, darunter die AfD, turbulente Zeiten an. Bereuen Sie Ihre Entscheidung, nicht noch einmal angetreten zu sein?
Norbert Lammert: Ich kann in meiner politischen Biografie auf die Erfahrung eines aufgeblähten Parlaments mit einer fast hundertköpfigen rechtspopulistischen Truppe gut verzichten. Die Entscheidung, nicht erneut für den Bundestag zu kandidieren, ist zu einem Zeitpunkt gefallen, als diese Entwicklung noch gar nicht absehbar war. Mein Entschluss ist über einen langen Zeitraum gereift.
DIE WELT: Zu den neuen Abgeordneten wird auch Frauke Petry gehören. Die Schließung der Wahllokale lag noch keine 24 Stunden zurück, da hat sie erklärt, sie werde der AfD-Bundestagsfraktion nicht angehören. Was bedeutet das für die demokratische Kultur, wenn eine Mandatsträgerin die Geschäftsgrundlage ihrer Wahl so schnell fallen lässt?
Lammert: Dieser Vorgang ist in der Parlamentsgeschichte beispiellos. Wir haben zwar immer wieder Austritte aus Fraktionen erlebt, und die müssen auch möglich sein, wenn es eine dauerhafte Diskrepanz zwischen den eigenen Überzeugungen und denen der bisherigen Partei- oder Fraktionsgemeinschaft gibt. Aber dass eine Parteivorsitzende der eigenen Fraktion nicht beitritt und dann auch noch keinen Zweifel daran lässt, dass diese Entscheidung lange vor der Wahl gereift sei, offenbart ein zynisches Verhältnis zu politischen Mandaten.