Das war eine krachende Niederlage. Doch anstatt die Gründe für die bitteren Ergebnisse zu aufzuarbeiten und seine Politik zu reformieren, setzt Venezuelas Präsident Nicolas Maduro auf ein ideologisches Weiter so. Es ist ein Trauerspiel.
Von Tobias Käufer, Bogota
Wer in den letzten Jahren regelmäßig in Venezuela zu Gast war, der konnte den Stimmungsabfall gerade zu mit den Händen greifen. Was waren das für rauschende Feste, die Venezuelas Sozialisten Mitte des vergangenen Jahrzehnts feierten. Revolutionsführer Hugo Chavez fuhr einen Wahlsieg nach dem anderen ein. Nur ein einziges Mal, als es darum ging die Verfassung zu ändern, versagten ihm seine Landsleute die Gefolgschaft. Ein Warnsignal, das allerdings nie tiefergehend analysiert wurde. Schon damals waren die Venezolaner bereit, dem charismatischen Chavez ihre Herzen zu schenken. Sie waren aber nicht bereit, sich ihm ganz auszuliefern.
Auch die politischen Kräfte, die Chavez stets kritisch gegenüberstanden, müssen eines einräumen. Das historische Verdienst von Chavez war es, das lateinamerikanische Selbstbewusstsein und die eigene Identität zu stärken. Dass er die Armen, also die bis dato von der konservativ-bürgerlichen Politik weitgehend ignorierten Bevölkerungsschichten in den Mittelpunkt seiner Bewegung stellte, war ebenfalls ein Grund für seine Beliebtheit. Das war es allerdings auch schon. Gut gemeint, bedeutet nicht gleichzeitig auch gut gemacht.
Es waren vor allem die katastrophalen handwerklichen Fehler der Sozialisten, die das Land in den Abgrund führten. Chavez’ farbloser Nachfolger Nicolas Maduro versucht es mit einer Legendenbildung: Ein „Wirtschaftskrieg“ sei für den Niedergang der venezolanischen Ökonomie verantwortlich. Die bösen Spekulanten, die den Ölpreis in Tiefe rissen, waren allerdings auch die gleichen, die dafür sorgten, dass Venezuela fast ein ganzes Jahrzehnt im haushaltspolitischen Paradies lebte, als sie für immer neue Höchststände sorgten. Damals gab es allerdings keinerlei Kritik aus Caracas, stattdessen wurde im neoliberalen Stil abkassiert. Und es wurde eine historische Chance vertan, die wohl so schnell nicht wiederkommt. Venezuela investierte in Ideologie, statt in Infrastruktur. All die Ölmilliarden hätte das Land nutzen können, um sich unabhängig machen zu können, vom Ölpreis und damit den verhassten Spekulanten. Doch statt in die eigene Wirtschaft oder deren Aufbau zu investieren, versagte das Regime in Caracas auf der ganzen Linie. Stattdessen leistete sich das Land eine völlig aus dem Ufer geratene Bürokratie und eigene Parteimedien, die derartig einseitig berichten, dass selbst der US-Sender FoxNews vor Neid erblasst. Und es gab immer neue Kommissionen, die niemand brauchte, die aber viel Geld kosten.
Repression statt Reform
Schon bei den Präsidentschaftswahlen 2013 wäre es fast vorbei gewesen mit der Erfolgsserie. Nicolas Maduro rettete sich mit allerlei Tricks über die Ziellinie. Dass die Vorfälle rund um die Wahlen damals niemals aufgearbeitet wurden, haben ihm seine Landsleute nicht vergessen. Dass Wahllokale in den Oppositionshochburgen attackiert wurden, dass oppositionellen Wählern in Behörden offen mit Entlassung gedroht wurde, dass anschließend Jagd auf Oppositionelle gemacht wurde, war der Sündenfall der Nach-Chavez-Ära. Dass die Massenproteste unterdrückt und niedergeschossen wurden, all das hat das Wahlvolk sehr genau registriert und seine Konsequenzen gezogen. Wie sehr Venezuela einem Dampfkessel glich, zeigten die sozialen Netzwerke nach der Wahl. Behielten die meisten Venezolaner aus Angst vor politischer Verfolgung bis zum Wahltag ihre digitale Meinung zurück, explodierten die Netzwerke nach Bekanntgabe des Ergebnisses geradezu. Der Wahlsieg der Opposition glich einer Befreiung. Endlich durfte auch der einfache Mann auf der Straße sich wieder frei äußern, ohne Angst zu haben, dafür irgendwelche Konsequenzen tragen zu müssen.
Das Märchen vom Wirtschaftskrieg
In einer ersten Reaktion machte Maduro den „Wirtschaftskrieg“ für das Scheitern der Sozialisten bei der Wahl verantwortlich. Das macht wenig Hoffnung, dass er zu einer selbstkritischen Analyse fähig ist. Dringende Korrekturen in der Wirtschaftspolitik, die dem völlig zerstörten privatwirtschaftlichen Sektor die Chance für einen Neuaufbau gibt, wären stattdessen der richtige Ansatz. Kein Unternehmer der Welt verzichtet freiwillig auf Einnahmen, wenn aber die Produktionskosten die Einnahmen übersteigen, dann kann ein Wirtschaftssystem nicht funktionieren. Maduro hat das bis heute nicht verstanden und arbeitet stattdessen an einer bizarren Legendenbildung. Dass es einen Schmuggel an der Grenze zu Kolumbien gibt, ist richtig. Dies ist aber eine Folge der Wirtschaftspolitik und nicht deren Ursache. Als Maduro anfing, dann die ausländerfeindliche Karte zu spielen und gegen die in Venezuela lebenden Kolumbianer zu hetzen begann, wandten sich auch viele linke Wähler angewidert ab.
Angst statt Argumente
Besonders übel aber ist den Venezolanern der Umgangston der Sozialisten aufgestoßen. Fast in jeder Familie in Caracas und den anderen großen Städten gab es nach den Massenprotesten ein Mitglied, das die schweren Übergriffe der Polizei mit eigenen Augen gesehen oder am eigenen Leib miterlebt hat. Wenn die Mächtigen dann trotz dieser tatsächlichen Erlebnisse eine andere Version verbreiten, dann ist es um die Glaubwürdigkeit geschehen. Dass anschließend nur Vertreter der Opposition für die Ausschreitungen haftbar gemacht wurden, während die politisch Verantwortlichen der sozialistischen Eliten komplett verschont wurden, hat einen tiefen Graben zwischen Regierung und Volk entstehen lassen. Spätestens im Frühjahr 2014 hat sich der Rechtsstaat in Venezuela verabschiedet. Die Rolle des Innenministers, der Generalstaatsanwältin und führender sozialistischer Gouverneure, die via Twitter zur Jagd auf die Opposition aufriefen, müssen von einer Wahrheitskommission aufgearbeitet werden. Ebenso die Rolle des Parlamentspräsidenten Diosdado Cabello, dessen TV-Show als Markenzeichen einen Schlagstock besitzt, der Menschenrechtlern via Kamera unverhohlen droht und der als Kopf der völlig aus dem Ruder gelaufenen linksgerichteten paramilitärischen „Colectivos“ gilt. War Chavez für viele Venezolaner ein Hoffnungsträger, so machen Maduro und Cabello ihren Landsleuten Angst. Und Angst wählt man nicht, in keinem Land der Welt.
Beifall aus Berlin für die Schlagstock-Politik
Auch die Rolle der europäischen Linken gilt es hier zu kritisieren. In der deutschen Linksfraktion gibt es Bundestagsabgeordnete, die der Schlagstock-Politik Cabellos und Maduros Beifall spenden. Die einer Regierung die Treue halten, die ihre Kritiker einsperrt und auf sie schießen lässt. So viel ewig gestriges Gedankengut kennt man eigentlich nur von Anhängern des Rechtsextremismus. Das Schweigen vieler europäischer Linker zu den gravierenden Menschenrechtsverletzungen führte dazu, dass sich Caracas in seinem Kurs bestätigt fühlte. Nur wenige internationale Linke wie Pablo Iglesias (Spanien) oder Uruguays Ex-Präsident Pepe Mujica hoben warnend den Zeigefinger, als es um die Frage der politischen Gefangenen ging. Doch ihre Stimmen wurden nicht gehört, nicht in Caracas und auch nicht in Berlin. Die Quittung gab es am Wahltag.