Analyse zum Ausgang des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahlen in Kolumbien
Viele Lateinamerika-Interessierte fragen sich, warum der amtierende kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen keine eindeutige Rückendeckung für seine Friedensgespräche bekam. Eine Analyse:
Als Juan Manuel Santos im Juli 2008 als Verteidigungsminister unter dem damaligen Präsidenten Alvaro Uribe die von der linksgerichteten Guerilla-Organisation Farc verschleppte Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt mit Hilfe eines Spezialkommandos unblutig befreite, da erreichten seine Zustimmungswerte in Kolumbien Rekordmarken. Die grüne Politikerin war zuvor mehr als sechs Jahre wie ein Tier und unter erbärmlichen Bedingungen als Geisel im Dschungel gehalten worden.
Als er sich anschließend als Präsident zur Wahl stellte, versprach er seinen Landsleuten eine Fortsetzung der international wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen umstrittenen, in Kolumbien aber populären Politik der „demokratischen Sicherheit“. Santos wurde mit deutlicher Mehrheit gewählt. Vor allem das bürgerlich-konservative Lager stand hinter dem gelernten Journalisten. Vieler Kolumbianer haben nicht vergessen wie die Friedensgespräche mit der Farc ein gutes Jahrzehnt zuvor endeten. Mit einer Farc, die wahllos entführte, mordete und den neuen Präsident Uribe 2002 mit Bomben auf den Präsidentenpalast begrüßte. In den acht Folgejahren sorgte Uribe dafür, dass der bewaffnete Konflikt aus den Großstädten verschwand. Dafür sind ihm die Menschen dankbar, trotz bisweilen schwerer Menschenrechtsverletzungen. In weiten Teilen des Volkes setzte sich aber die Meinung durch: Brutaler Terror muss mit brutaler Härte bekämpft werden, koste es was es wolle. Uribe erfüllte in dieser Hinsicht die in ihn gesteckten Erwartungen.
Sein Nachfolger Santos beging 2012 seinen ersten schwerer Fehler: Er begann die Friedensverhandlungen mit der Farc ohne wirkliche demokratische Legitimation. Viele Wähler aus dem bürgerlich-konservativen Lager betrachteten die Gespräche mit den Rebellen als einen politischen Verrat. Sie haben den blutigen Farc-Terror gegen die Zivilbevölkerung nicht vergessen. Damit öffnete Santos eine politische Flanke für seinen Vorgänger Uribe. Der Rechtspopulist mobilisierte das konservative Lager, das sich von Santos angesichts seiner Aussage im Wahlkampf „Ich sorge dafür, dass die Kolumbianer auch weiterhin ruhig schlafen können“, eine Fortsetzung der Politik der militärischen Stärke erwartet hatte. Klüger wäre es gewesen, die mutigen und auch richtigen Gespräche mit der Farc entweder durch ein Referendum absegnen zu lassen oder sie erst zum Gegenstand des Wahlkampfes im Vorfeld der zweiten Amtsperiode zu machen. Das Argument weiteres Blutvergießen zu vermeiden greift hier nicht: Trotz der Verhandlungen töten beide Seiten fleißig weiter. Geändert hat sich bislang nichts.
Mit einem Referendum oder einem durch Wahlen abgesegneten Auftrag hätte Santos dem Rechtspopulismus Uribes den Wind aus den Segeln nehmen können. Sich Gespräche derartiger Tragweite erst nachträglich vom Volk legitimieren zu lassen, war ein blauäugiger Anfängerfehler.
Der zweite schwere Fehler, der die Wähler in die Arme von Uribe trieb, ist die Wahl des Verhandlungsortes. Havanna, Hauptstadt der skrupellosen kubanischen Diktatur, ist für potentielle Wähler aus dem Santos-Lager kein Platz, den sie für derartige Verhandlungen akzeptieren. Ausgerechnet in einem Land, dessen Regime die Opposition konsequent einsperrt und ihr jegliches politisches Engagement verbietet, über demokratische Reformen zu verhandeln, empfinden viele konservative Wähler als schlechten Treppenwitz der Geschichte. Obendrein hat Santos mit dem Verhandlungsort Havanna Spekulationen und Gerüchten den Boden bereitet. Niemand weiß was dort tatsächlich besprochen und verhandelt wird, ist die gefühlte Wahrnehmung vieler Kolumbianer. Havanna steht nicht gerade Transparenz. Die Kritik zahlreicher Opferverbände und indigener Völker, die sich ausgeschlossen fühlen, verstärkt diesen Eindruck. Auch dass sowohl bei der Farc als auch in der Regierungsdelegation ausschließlich Männer in den entscheidenden Positionen über Krieg und Frieden entscheiden, während die Frauen – oft Hauptleidtragende des Konfliktes – keinen Platz am Verhandlungstisch haben, hat das Uribe-Lager – nicht ganz zu Unrecht und mit einer gehörigen Portion Populismus – scharf kritisiert.
In Stockholm, Oslo oder Genf wäre der Verdacht der Klüngelei um den Frieden erst gar nicht entstanden. Und peinliche Abhöraktionen wie sie sich Uribe-Kandidat Zuluaga leistete, wären wohl überflüssig gewesen. Im Übrigen glaubt nur ein naiver Idealist, dass die Gespräche nicht auch vom fleißigen kubanischen Geheimdienst abgehört und die Erkenntnisse anschließend den Farc-Rebellen zur Verfügung gestellt werden.
Die Stichwahl am 15. Juni wird nach meiner Einschätzung Juan Manuel Santos mit einem blauen Auge gewinnen. Er wird dann die Rückendeckung des kolumbianischen Volkes für seinen richtigen Dialog mit der Farc bekommen. Es sei denn, es gibt in den nächsten Wochen noch ein paar dramatische Umfaller in den Reihen des bürgerlichen und links-liberalen Lagers. Auszuschließen ist das nicht. Rechte wie linke Politiker waren in Kolumbien schon immer käuflich. Der Mann, der Kolumbien mit seinen historischen Friedensgesprächen in eine friedlichere Zukunft führen wollte, hätte dann mit vermeidbaren taktischen Fehlern genau das Gegenteil erreicht. Es wäre eine Tragödie.
Tobias Käufer