Die junge Verkäuferin im Adidas-Store im noblen Einkaufszentrum Rio Sul lächelt gequält: „Ich kann Sie gerne auf die Warteliste setzen, vielleicht gibt nächste Woche wieder eine neue Lieferung.“ Täglich muss sie interessierte Kunden vertrösten, denn das Auswärtstrikot der deutschen Nationalmannschaft für die WM in Brasilien ist in Rio de Janeiro so heiß begehrt, dass die Shops mit den Lieferungen nicht nachkommen.
Breite schwarz-rote Streifen zieren den Dress von Bastian Schweinsteiger und Co, wenn sie in Brasilien als „Gastmannschaft“ auflaufen werden, also nicht in den traditionellen weißen Trikot spielen können. Um das DFB-Trikot ist in der Millionen-Stadt, in der am 13. Juli im Maracana-Stadion das Finale der Weltmeisterschaft ausgetragen wird, ist ein richtiger Hype entstanden. Grund sind die Fans von Flamengo Rio de Janeiro, einem der populärsten Klubs im ganzen Land. Das neue DFB-Auswärtstrikot sieht dem Dress ihres Lieblingsklubs nicht nur täuschend ähnlich. Viele Flamengo-Fans sagen, es wäre sogar viel schöner. Und damit beginnen die Probleme für den Hersteller.
Denn an die Originaltrikots in Rio de Janeiro zu kommen, ist derzeit nahezu unmöglich: Im offiziellen Adidas-Store im wichtigen Einkaufszentrum Rio Sul ist das Hemd ausverkauft, es gibt nur eine Warteliste oder Ratschlag der Verkäuferin: „Versuchen Sie es im Internet.“ Auch in Leblon, einem Nobelviertel Rios wo gut betuchte Kunden wohnen, die schon alleine aus Prinzip nur ein teures Originalshirt kaufen, gibt es lange Gesichter bei den Flamengo-Fans. Knappe sechs Wochen vor der WM prangt auf der Bretterwand des Adidas-Store die frustrierende Botschaft: „Neueröffnung in Kürze.“ Richtig genervt sind die Verkäufer im offiziellen Vereinsshop von Flamengo. Zwar spielt auch der Klub der ehemaligen brasilianischen Fußball-Legende Zico in Adidas-Trikots, doch das beliebte DFB-Trikot ist auch hier nicht zu haben. „Nein führen wir nicht“, lautet die barsche Antwort. Viel schlimmer für den Kultklub als die frustrierte Kundschaft: Der Hype um das DFB-Trikot schädigt das eigene Geschäft, weil viele Kunden ihr Geld lieber in das deutsche Trikot investieren, als in ein Flamengo-Shirt.
Trotzdem sieht der überraschte deutsche Tourist schon jetzt tausende Fans mit dem DFB-Trikot durch die Stadt laufen. Und deren Besitzer können die Namen Hummels, Schweinsteiger oder Draxler nicht einmal richtig aussprechen. Das große Geschäft machen die Schwarzmarkthändler mit gefälschten Trikots. Auf dem Markt unweit der Metro-Station Uruguaiana gibt es die DFB-Trikots in allen Größen und in großen Mengen. Die Polizei ist zwar auch vor Ort, die interessiert sich aber mehr für Taschendiebe als für Raubkopien. Für umgerechnet 10 bis 15 Euro können die Shirts, die dem Original täuschend ähnlich sehen und nur bei genauer Qualitätskontrolle als Raubkopie entlarvt werden können. Wenn an den beliebten Stränden Copacabana, Ipanema oder Leblon abends die fliegenden Händler ihre Ware an der Promenade auslegen, dann fehlt in keinem Flamengo-Sortiment das DFB-Trikot. Auch hier ist der Preis mit umgerechnet knapp 15 Euro verführerisch günstig.
Für adidas hat damit ein Wettlauf gegen die Uhr begonnen. Jeder Tag an dem die Originaltrikots nicht im Laden zu haben sind, bedeutet einen Umsatzverlust. Bei geschätzten 45 Millionen Flamengo-Fans in ganz Brasilien ein nicht zu unterschätzendes Potential. Das Unternehmen teilte auf Anfrage mit, dass Adidas keine Verkaufszahlen veröffentliche. Dafür erhalte man aber positive Rückmeldungen aus Brasilien. Die dürften noch deutlich besser werden, wenn in Rio zumindest die interessierten Kunden auch die Chance hätten, eines der begehrten DFB-Trikots auch tatsächlich zu bekommen.
Von Tobias Käufer, Rio de Janeiro